Deutschland muss auf Frankreich zugehen
Jetzt kommt es auf die deutsch-französischen Beziehungen an. Sie bestimmen maßgeblich die Zukunft der Europäischen Union. Vor dem Hintergrund weltweiter Spannungen und der Ermunterung von US Präsident Trump an Großbritannien, den Brexit auch ohne Abkommen zu beschleunigen und der so die antieuropäischen Kräfte bestärkt, darf sich die EU nicht in Kleinigkeiten wie Personalstreitigkeiten verlieren.
von Jürgen Chrobog,
Präsident des Europäischen Senates-Politik der Wir Eigentümerunternehmer,
Staatssekretär des Auswärtigen a.D. und langjähriger deutscher
Botschafter in Washington sowie
Partner der Berlin Global Advisors.
Die Bundesregierung sollte sich dem Werben Macrons nicht länger entziehen, sondern nach den außen- und wirtschaftspolitischen Gemeinsamkeiten suchen. Andernfalls auch die wirtschaftliche Entwicklung in Gesamteuropa gefährdet wird.
Wie der französische Präsident Macron kürzlich feststellte, war die Europäische Union nie wichtiger als heute. Aber ihr Zusammenhalt droht zu erodieren. Präsident Trump bringt die Europäische Union zunehmend in Bedrängnis und versucht, die Europäer auseinanderzudividieren. Großbritannien – nie ein einfacher Partner – stabilisierte die EU zwischen Nord und Süd. Es wird Deutschland nach dem Brexit fehlen. Ein berechenbares und dem ‚common-sense‘ verpflichtetes Land demontiert sich selbst und macht sich zum Gespött der Welt, in dem es auf Populisten hört, die völlig unsinnige und unhaltbare Versprechungen machen und Präsident Trump folgen, für den der Brexit erklärtermaßen im amerikanischen Interesse liegt.
Die Deutschen hingegen, denen früher oft Nachgiebigkeit nachgesagt wurde, erregen heute sowohl bei der US-Administration als auch in Europa Kritik wegen ihres Widerstandes und ihrer Alleingänge, sei es in der Außenpolitik oder in Wirtschaftsfragen. Unser Festhalten am Projekt Nordstream 2 ist nur eines von zahlreichen Beispielen.
Unser früherer enger Partner Italien ist in die Hände von Populisten gefallen, die ohne wirtschaftlichen Sachverstand das Land ruinieren. Italiens Volkswirtschaft ist zu groß, als dass sie wie die griechische gerettet werden kann. Rechnet man die national populistischen Entwicklungen insbesondere in unseren östlichen Partnerstaaten hinzu, muss man feststellen, dass die Europäische Union noch nie so dicht am Abgrund stand wie heute.
Somit bleibt uns als wichtigster Partner in Europa nur Frankreich.
Das deutsch-französische Verhältnis ist gespannt – manche Beobachter bezeichnen es sogar als zerrüttet. Es ist ein Versagen deutscher Politik, dass sie aus innenpolitischen Gründen nur taktiert und sich dem Werben des französischen Präsidenten immer wieder entzogen hat. Seit Beginn seiner Amtszeit hat sich Macron der europäischen Einigung verschrieben. Sein Wahlkampf war von Europathemen bestimmt. Welcher Politiker in Deutschland hat jemals so überzeugte und überzeugende Reden zu Europa gehalten wie der französische Präsident, zuletzt in seiner Adresse vom 2. März dieses Jahres an alle europäischen Bürger. Er warnte vor einem Europa als seelenlosem Markt und schlug eine Reihe von Maßnahmen vor, um auf die Bürger zuzugehen. Sein Blick richtete sich dabei immer auf uns.
Diese Rede hat in Deutschland zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. In Frankreich hat man registriert, dass nicht die Bundeskanzlerin auf den Staatspräsidenten antwortete, sondern die Parteivorsitzende der CDU. Niemand verlangt von Deutschland, alle Vorschläge zu akzeptieren – auch Macron nicht. Aber statt sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, war die deutsche Reaktion der vergangenen Monate hinhaltend und enthielt keine strategischen Festlegungen.
Neben Übereinstimmungen in manchen Positionen gibt es deutsche Gedankenspiele, die die französischen Befindlichkeiten verkennen. Die Forderung nach einem gemeinsamen europäischen Sicherheitsratsvorsitz in den Vereinten Nationen anstelle des französischen ist schon seit Jahren ein Nichtthema. Das erneute Vorbringen ist eine Provokation. Im Gegensatz zu GB, das immer noch einer imperialen Nostalgie anhängt, hat sich Frankreich von dieser verabschiedet und sich in die Europäische Union eingebracht bis hin zu teilweisem Souveränitätsverzicht. Das neben der nuklearen Bewaffnung letzte verbleibende Alleinstellungsmerkmal sollte man unserem Nachbarn nicht streitig machen. Die französisch-deutsche Abstimmung im Sicherheitsrat der VN ist besonders eng und vertrauensvoll. Im Übrigen ist es auf Grund der heterogenen Interessen vieler EU Mitgliedstaaten eine Illusion zu glauben, man könne unter den 27 zu gemeinsamen Entscheidungen innerhalb der gebotenen Fristen gelangen.
Auch die von deutscher Seite geforderte Zusammenlegung der EU- Institutionen in Brüssel auf Kosten von Strasbourg entspricht weder den Verträgen noch ist sie von Frankreich hinnehmbar. Die Idee eines gemeinsam zu bauenden Flugzeugträgers fällt ebenfalls ins Reich der Illusion – vor allem in einem Land, in dem die Bewaffnung der Truppe vor riesigen Problemen steht und Großprojekte auf immer größere Probleme treffen.
Deutschland und Frankreich sind zur Partnerschaft verurteilt. Die über Jahre gewachsene Erkenntnis besteht auch heute: beiden Ländern gemeinsam gelingt fast alles, ohne ihre Zusammenarbeit nur wenig und im Gegeneinander nichts. Dieser Grundsatz gilt gerade in einem Europa der 27.
Bildnachweis Französische Flagge: MurlocCra4ler auf Pixabay