Mittelstand 2017: Europa – Quo vadis
Der deutsche Mittelstand 2017 zwischen Marx, Trump und der digitalen Revolution
von Dr. Yorck Otto, Präsident UMU e.V. – Wir Eigentümerunternehmer
„Es ist die Macht des Aussprechens dessen, was ist. Es ist das gewaltigste politische Mittel!“
Ferdinand Lasalle, einer der wichtigsten Wortführer der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, hat es schon gewusst und der deutsche Mittelstand ist aufgerufen, gleiches zu tun. Denn der deutsche Mittelstand, der immerhin und je nach Einteilung zwischen 86 und 99% aller deutschen Unternehmen mit gut 60% aller Beschäftigten von insgesamt 43 Millionen Erwerbstätigen repräsentiert, wird in den kommenden Jahren, viel mehr als die von der Politik gut versorgten Großkonzerne, vor mannigfaltigen Herausforderungen stehen. In diesem Sinne stellen wir zum Jahresende 2016 fest: „Wir müssen laut aussprechen, was ist!“
Denn es sind besonders die vielen kleinen Selbständigen, die den deutschen Mittelstand bilden. Die, die sich oder ihre Arbeit nicht ins Ausland verlegen können; die, die in vielen Dienstleistungsbereichen, im Gesundheits- und Pflegesektor, aber auch in der Bauwirtschaft oder im Handwerk und Handel in einer bereits prekären Einkommenssituation sind. Die, die sich in virtuellen Plattformen des Internets nach Arbeit strecken. Die, die mit flexiblen Arbeitszeiten sich selbst und ihre Mitarbeiter ernähren. Mindestens 10% der Selbständigen, so schätzen Mitglieder des Deutschen Bundestages, gelten als akut armutsgefährdet. Ohne schützenden Rentenanspruch, ohne Mindestlohn oder Krankenschutz. Es sind die, die keine Altersvorsorge aufbauen können; schon gar nicht bei der anhaltenden Null-Zins-Politik der EZB.
Es sind nämlich die Kleinunternehmer, die eine viel proklamierte und beworbene Selbständigkeit vorantragen. Eine Selbständigkeit, die Deutschland (und viele andere Länder ebenso) dringend braucht, um durch kreatives Unternehmertum Schritt zu halten mit den Herausforderungen der Globalisierung, die im Wesentlichen von den „Großen“ dieser Welt organisiert wird.
Hier gilt „Wer zuerst kommt, beherrscht den Markt“. Oder, so wie Karl Marx es 1872 formulierte: „Der Kapitalismus hat die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert“! Aber genau das ist äußerst gefährlich für den Mittelstand und damit für die Zukunft unseres Landes.
Wir dürfen uns durchaus daran erinnern, dass es bei uns bereits viel länger „Hinterhöfe“ gibt, als die „Garagen“ im Silicon Valley. Daher gilt, dass trotz vielfältiger Bemühungen der Schutz und die Förderung der Selbständigen noch viel mehr Beachtung finden müssen. Die viel zu engen Voraussetzungen des künftigen Arbeitszeitgesetzes müssen da, für so manchen Kleinunternehmer, fast wie Hohn klingen. Die unendlichen Vorschriften der Bürokratie müssen genauso wie Buchhaltungsregelungen und Abschreibungssätze reduziert und Grenzen des steuerlichen Mindesteinkommens nachhaltig angehoben werden.
Denn bereits in 2017 werden die Konsequenzen aufbrechender Spannungsfelder – einer politisch geschwächten Europäischen Union, nationalistischer Strömungen, wie die des künftigen amerikanischen Präsidenten mit seinem „America First“, der Aufrüstungsbemühungen der Türkei und anderer Staatslenkern, der porösen EU-Außengrenzen sowie der mannigfaltigen Konsequenzen einer unaufhaltsamen Digitalisierung und Globalisierung – verstärkt offensichtlich werden.
Die Zeiten des weiter-so sind vorbei und es wird Zeit, dass wir uns darauf einstellen, und dass wir es laut aussprechen!
Die Digitalisierung, im Rahmen der sogenannten Industrie 4.0, wird keine Evolution sein, sondern eine sozial-ökonomische Revolution. Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden. Alles was vernetzt werden kann, wird vernetzt werden. Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Damit einhergehen wird eine dramatische Dematerialisierung von bisher produzierten Gütern. Einen Hausschlüssel (und die Maschinen zur Herstellung dazu) wird es bald nicht mehr geben. Bis zum Jahr 2030 werden so 50% der heutigen Jobs dematerialisiert sein. Bereits jetzt weiß man, dass in der Automobilindustrie für € 10 Millionen Umsatz ca. 120 Mitarbeiter benötigt werden. Im Großhandel sind es ca. 50 Mitarbeiter. Bei Google braucht es nur 6-8 Mitarbeiter. Eine gigantische Verschiebung des Faktors „Arbeit“ wird damit einhergehen. Selbständige und eigenverantwortliche Kreativität wird noch mehr als bisher an Stellenwert gewinnen. Daraus folgt, dass wir einerseits die Chance haben, den Faktor „Arbeit“ im Rahmen eines neuen Wertesystems auch neu definieren zu können, aber andererseits auch, dass es in der breiten Ablehnung der Globalisierung zu einer bedenklichen Allianz politischer Gegensätze kommt.
Die Sehnsucht nach Sicherheit, die Auflehnung gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die Frage nach Heimat und eigener Zukunft führen in diesen Zeiten zu der Situation, die Populisten so gerne durch platte Phrasen in ein vermeintliches Konzept gießen. Ein Konzept, das zutiefst auch gegen den Kapitalismus westlicher Prägung opponiert und durch angeblichen Streit für die Interessen der kleinen Menschen gegen das große Kapital anführen soll.
Es bleibt abzuwarten, wie die 4 Millionen Eigenheimbesitzer und Trump-Wähler in Amerika reagieren werden, wenn alsbald derjenige, der am meisten Geld mit den Enteignungen der Häuser verdient hat, Finanzminister wird. Es bleibt also zu befürchten dass Karl Marx Recht hat mit seiner Annahme, dass der Kapitalismus die Potenz hat, sich auch selbst zu zerstören.
Um dies zu verhindern, benötigen wir einen breiten Dialog zwischen Politik und Gesellschaft und vor allem die Unterstützung derer, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Den Mittelstand. Es sind dies die Träger einer offenen, liberalen und leistungsorientierten Gesellschaft und sozialen Marktwirtschaft. Die Unaufhaltsamkeit der Globalisierung (trotz Trump, Brexit & Co.) und Digitalisierung wird eine neue, faire und nachhaltige Verteilungspolitik als ausgleichendes Gewicht erfordern, die eine Spaltung der Gesellschaft genauso verhindern, wie sie die Kreativität und Schaffenskraft der Selbständigen fördern muss.
Die Chancen müssen rasch ergriffen werden. Deutschland muss im Rahmen der neuen, eingeforderten Verantwortung in der Europäischen Union, sowohl für die äußere wie innere Sicherheit, durch gezielte Investitionsprogramme unterstützend auf die Wirtschaft und deren Entwicklungsvorhaben wirken. Gemeinsame europäische Maßnahmen zur Grenzsicherung, eine weitgehend gemeinsame Außenpolitik, verbunden mit gemeinsam abgestimmter militärischer Ausrüstung zur Übernahme von internationaler Verantwortung, kann und wird dem europäischen Gedanken der Gründungsväter neuen Auftrieb verleihen und gleichzeitig die Wirtschaft in den Ländern Europas stimulieren.
Der Mittelstand wird das bleiben, was er ist: Das Rückgrat der deutschen Leistungsgesellschaft.