Die USA nach den Kongresswahlen – Auswirkungen auf die Europäische Politik
von Jürgen Chrobog
Senator der Wir Eigentümerunternehmer-Gruppe, Botschafter der BRD in Washington a.D., Staatssekretär im Auswärtigen Amt a.D. und Vorsitzender der BMW-Stiftung Herbert Quandt a.D.
Der Wahlausgang bei den Zwischenwahlen des Kongresses in den USA Anfang November 2014 war keine Überraschung. Trotz nicht übersehbarer Erfolge während der bisher sechsjährigen Amtszeit Obamas (Gesundheitsreform, Schaffung von 2 Millionen neuen Arbeitsplätzen, Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise) hat sein Ansehen in der amerikanischen Öffentlichkeit einen historischen Tiefstand erreicht. Der Heilsbringer von 2010 wurde zur Belastung im demokratischen Wahlkampf. Obama gilt bei vielen Wählern heute als den Menschen entfremdet, intellektuell abgehoben und schwach in der Durchsetzung insbesondere im Kampf gegen die neuen Bedrohungen durch den Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak.
Was bedeutet dieser Wahlausgang für die transatlantischen Beziehungen?
Die Einschätzung, Präsident Obama sei für die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit handlungsunfähig, eine lame duck, verkennt die institutionelle Macht und den Einfluss des Weißen Hauses. Auch frühere Präsidenten haben gegen eine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses erfolgreich regiert. Präsident Clinton erlitt zwei Jahre nach seinem Amtsantritt 1994 eine vernichtende Niederlage und wurde daraufhin von den Republikanern als politisch irrelevant bezeichnet. Dennoch verlief seine Präsidentschaft erfolgreich. Er wurde zwei Jahre später durch die Wähler in seinem Amt bestätigt.
Die Republikaner können es sich nicht leisten, die US Politik durch eine Totalblockade zum Stillstand zu bringen. Ihnen fehlt die notwendige Mehrheit von sechzig Stimmen im Senat, die zur Verabschiedung eigener Gesetze notwendig wäre. Andererseits hat der Präsident ein Vetorecht, das nur von zwei Dritteln des Senates überwunden werden kann. Ein Veto gegen jeden Versuch, das Kernstück seiner Regierungszeit – die Gesundheitsreform – rückgängig zu machen, hat er bereits angekündigt. Der Präsident kann politische Entscheidungen durch Verwaltungsdekrete durchsetzen. Dies hat er gerade in diesen Tagen in der ideologisch umstrittenen und für ihn besonders wichtigen Frage der Legalisierung des Aufenthaltsrechtes von Millionen von Einwanderern angekündigt. Insbesondere lateinamerikanischer Immigranten würden davon profitieren.
Die republikanische Opposition hat in den vergangenen sechs Jahren – nicht zuletzt unter dem Druck der Tea Party eine Fundamentalopposition betrieben. Sie stellte häufig Parteiinteressen über die Interessen des Landes. Erinnern wir uns an die Auseinandersetzungen um Haushalt und Steuern, die den Staat bis an den Rand der Zahlungsunfähigkeit führte.
Kompromisse werden auf beiden Seiten notwendig sein, schon im jeweils eigenen Interesse. Inzwischen ist das Ansehen von Politik und Politikern in Amerika derartig auf dem Tiefpunkt, das beide Seiten aufpassen müssen, nicht nur als Blockierer und Vertreter reiner Parteiinteressen angesehen zu werden.
Insbesondere innenpolitische Themen werden die zwei kommenden Jahre bestimmen: Steuern, Haushalt, Immigration und die weiterhin umstrittene Gesundheitsreform. Hier werden sich die Republikaner unter dem Einfluss der immer noch starken Tea Party Anhänger bei Zugeständnissen zwar schwer tun. Die gemäßigten Republikaner wissen aber, welche Gefahr z.B. die Verweigerung einer Reform der Immigrationsbestimmungen gerade bei den Einwanderern aus Süd- und Mittelamerika für sie bedeuten könnte. Diese stellen inzwischen einen wichtigen Teil der Wählerschaft.
Für Deutschland und Europa stellt sich besonders die Frage nach der zukünftigen Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik der USA.
Gerade im Bereich der Außenpolitik ist die Rolle des US-Präsidenten stark.
Bei den zurzeit weltweit zunehmenden Spannungen und der terroristischen Bedrohung erhält der Begriff „Transatlantisches Verhältnis“ wieder einen neuen Inhalt. Wer redet heute noch bei uns von NSA und den Abhöraktionen der amerikanischen Dienste. Der europäische Versuch, die USA zu einer Beschränkung der Abhöraktivitäten zu bewegen, tendiert gegen null. Gerade haben die Republikaner im Senat ein Reformgesetz blockiert, das auch in der EU geäußerte Bedenken aufnahm. Bei uns wächst dennoch die Erkenntnis, dass zur Terrorismusbekämpfung die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und der Austausch von Erkenntnissen wichtiger sind, als alle grundsätzlichen Bedenken.
Folgende Schwerpunktthemen amerikanischer Außenpolitik werden in den kommenden Jahren für uns von besonderer Bedeutung sein:
Naher und Mittlerer Osten, die terroristische Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS), das zukünftige Verhältnis zu Russland auf Grund des Ukrainekonflikts, die Machtverschiebungen in Ostasien durch den wachsenden Einflusses Chinas und die transatlantischen Handelsbeziehungen.
Im Umgang mit dem Nahostkonflikt ist Obamas ursprünglicher Elan verschwunden, einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu vermitteln. Wenn er irgendwo in der Welt als lame duck betrachtet wird, so in Israel. Dort gibt es heute nicht mehr die geringste Bereitschaft zu Zugeständnissen für Verhandlungen, die zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen könnten. Auch in ihrer weltweit kritisierten Siedlungspolitik bleibt Israel unnachgiebig und schafft damit weiter Fakten, die einen palästinensischen Staat unmöglich machen. Die israelische Regierung weiß, dass Obama durch die Republikaner aber auch zahlreiche Demokraten ausgebremst würde. Aussitzen ist das Gebot der Stunde.
Das sind schlechte Aussichten für Europa. Die EU kann die USA in diesem Konflikt nicht ersetzen, muss aber dennoch alles dafür tun, dass in unserer Nachbarregion ein Minimum an Stabilität erhalten bleibt. Nicht umsonst reist AM Steinmeier ständig in die Region.
Die Verhandlungen mit dem Iran über sein Nuklearprogramm stehen inzwischen am Scheidepunkt. Die Frist läuft in wenigen Tagen ab. Theoretisch könnten die Uhren aber angehalten werden. Beide Seiten brauchen den Erfolg. Der Iran ist durch die Wirtschaftssanktionen schwer getroffen. Der derzeitige Ölpreis liegt weit unter der für ein Wirtschaftswachstum notwendigen Schwelle. Ein Ende des Streits und die dann folgende Lockerung oder sogar Aufhebung der Sanktionen würden gerade der deutschen Wirtschaft neue Chancen eröffnen. Aber auch hier haben die USA ein Problem mit Israel. Israel versucht mit allen Mitteln, eine amerikanische Zustimmung zu einem Abkommen zu verhindern und findet dabei Zustimmung bei der Mehrheit des Kongresses. Gegen diese Mehrheit muss Obama seine Politik durchsetzen.
Der Kampf Obamas gegen den IS in Syrien und dem Irak findet grundsätzlich weitgehende Unterstützung in den USA. Obama, der sich verpflichtet hatte, alle US Soldaten aus dem Irak abzuziehen, wird dort allerdings immer mehr in einen neuen Krieg hineingezogen. Eine wachsende Zahl von US-Soldaten kehrt zurück in den Irak – bisher offiziell nur als Berater. Aber jeder weiß, dass gegen IS der Krieg aus der Luft allein nicht zu gewinnen ist. Das ist alles andere als populär im kriegsmüden Amerika. Die Lage im Mittleren Osten ist für Europa von substantieller Bedeutung. Amerikanischer Druck auf ein verstärktes Engagement auch auf deutscher Seite wird unausweichlich sein.
Die Krise in der Ukraine wird von den USA in erster Linie als ein Europäisches Problem gesehen. In Washington hat die Neuausrichtung der Außenpolitik nach Asien (pivot to Asia) Vorrang. Es geht darum, als pazifische Macht neben China präsent zu sein. Diese Politik wird vom gesamten Kongress unterstützt. Sie liegt auch in unserem europäischen Interesse.
Im Ukrainekonflikt sehen die USA eine besondere Vermittlerrolle Deutschlands. Die Bemühungen der Bundesregierung werden in Washington anerkannt. Die Bundeskanzlerin und Außenminister Steinmeier gehören zurzeit zu den Wenigen, die den ständigen Dialog mit der russischen Regierung aufrechterhalten.
Allerdings verlangen insbesondere die Republikaner einen härteren Kurs gegenüber Moskau. Zu häufig ist in diesen Tagen von Interessen der Nato und militärischen Flankierungsmaßnahmen die Rede, was zu einer weiteren Eskalation führt. Abgesehen von einigen sprachlich zweifelhaften Bemerkungen Obamas gegenüber Russland (Bewertung als Regionalmacht) ist der Präsident noch nicht auf den von den Republikanern propagierten harten Kurs eingeschwenkt. Die Bundesregierung bremst die Versuche, die Sanktionspolitik auf die Spitze zu treiben und setzt weiter auf den Dialog mit Moskau. Wir dürfen uns bei allem Verständnis für die Sorgen der Ukraine und unserer östlichen Nachbarn sowie der Baltischen Staaten nicht in einen Konfrontationskurs gegen Russland drängen lassen. Auch die Ukraine selbst trägt nicht gerade zur Befriedung bei.
Die deutsche Wirtschaft ist zwar nicht vom Handel mit Russland abhängig, aber die Höhe der deutschen Investitionen und das Engagement gerade kleiner und mittlerer Unternehmen, deren Existenz auf dem Spiel steht, machen uns verletzlich. Wirtschaftliche Interessen können nicht im Vordergrund der öffentlichen politischen Diskussion stehen, dennoch sind auch sie ein wesentlicher Faktor politischen Handels.
Ein besonders wichtiges Thema in den transatlantischen Beziehungen ist das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP). Die gute Nachricht ist, dass der Wahlausgang in den USA die Aussichten für ein derartiges Abkommen eher verbessert hat. Die Republikaner sind traditionell aufgeschlossener für den Freihandel als die Demokraten. Obama benötigt die Zustimmung des Kongresses für das Instrument beschleunigter Verhandlungen (fast track). Diese Befugnis würde es dem Kongress unmöglich machen, das einmal ausverhandelte Paket wieder zu öffnen. Die Zeichen in Washington sind ermutigend. Das Interesse der USA an TTIP ist so groß, dass die EU ihrerseits selbstbewusst in die weiteren Verhandlungen gehen kann. Gefahr für das Abkommen droht eher von Seiten der Gegner eines freien Welthandels in Europa.
Der Wahlausgang hat dem amerikanischen Präsidenten das Regieren in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit nicht leichter gemacht. Da er aber nicht wiedergewählt werden kann, ist er unabhängiger von äußeren Einflüssen geworden. Er kann mehr Druck aushalten und jetzt noch einmal Führung zeigen.